Ein Tag ohne Chefin - kurz gedacht, zum Glück nicht nachgemacht
- HERZieherin
- 7. Jan. 2023
- 5 Min. Lesezeit
Anmerkung von HERZieherin: Um das gleich vorwegzunehmen: Keine Sorge, das ist eine FIKTIVE Geschichte, es ist NICHT wirklich passiert;)
Oh Schreck, die Chefin ist weg. Nicht da. Außer Haus – so heißt es jetzt, um dem Datenschutz Genüge zu tun – was für ein Graus. Und das am frühen Morgen. „Macht euch doch keine Sorgen!“, rufen Lotte und Wilma, „Wir übernehmen das!“ Was genau dieses „das“ sei, frage ich sie verwundert. „Na, wir spielen Chefin. Du und die anderen Azia müssen nichts machen!“ Dann wäre ja alles geklärt. Die Kindergartengruppe übernimmt heute die Leitung. Die „Azia“ müssen sich keine Sorgen machen, nur weiter ihre Arbeit tun…oder jedenfalls das, was sie sonst auch machen. Rumgucken und sowas. So geht’s los: Hm, und was macht eine Schefin?, sind die Kinder allerdings doch etwas überfragt. Also wird aufgezählt, was Cornelias To Do’s für heute sind.
1) Hallo und herzlich willkommen. Immer, wenn Cornelia in die Kita kommt, begrüßt sie die Kinder und läuft auch in die Gruppenzimmer, um den Kollegen einen guten Morgen zu wünschen und nach dem Rechten zu sehen. DAS MACH ICH! UND ICH! UND ICH! ICH WAR ZUERST! UND ICH WAR NOCH NIIIE ERSTE! Die halbe Horde rennt von Gruppe zu Gruppe, reißt die Türen auf und verkündet euphorisch, was für ein schöner Tag sei und hallo und guten Morgen. „Cornelia ist doch auch immer fröhlich!?“ Ja sehr gut, aber ihr Guten Morgen hat ein bisschen weniger dezibel…Nun, das nächste:
2) Telefondienst. Das übernimmt Klara. Die kennt sich aus. War schon öfter bei Cornelia im Büro. „Aber ich will das Teletoon!“, schreit Franz und will es ihr aus der Hand reißen. Nein, das ist KEIN Spieltelefon und außerdem macht Klara das schon. Und sie braucht ihre Ruhe. Machen wir also die Tür zu und die Telefonistin geht sofort ans Werk. Sie wird das mit Bravour meistern. Wer heute anruft, sollte auf jeden Fall Zeit mitbringen und geduldig und interessiert zuhören können. Ein Telefonat ist schließlich ein Gespräch zwischen dem Sender und Empfänger, und gerade weil man sich dabei nicht sieht, muss man doch diesen Dialog GANZ BESONDERS detailreich und farbenprächtig gestalten, damit das Gegenüber es sich auch richtig vorstellen kann. Klara ist diesbezüglich absolut vorbereitet und freut sich sehr darauf, den Anrufern von ihren Geschenkewünschen zu berichten und wie ihr Einhorngeburtstag in vier Monaten aussehen wird und wer ihr Heiratsmann sein wird und warum und was sie schon für Ausmalbilder ausgemalt hat heute in allen Regenbogenfarben und welche und wieviele Ausmalbilder schon wieder kopiert werden müssen, weil da nur noch eins in der Folie ist und das hat ein gelbes Kreuz und wenn ein gelbes Kreuz auf einem Ausmalbild drauf ist, muss man das kopieren gehen und…
Es…ist wirklich besser für alle, wenn sie bei den Telefonaten niemanden stört…ich meine, nicht gestört wird!
Unser pfiffiger Schlaufuchs Pilipp übernimmt eine ganz besondere Aufgabe. Und zwar:
3) Cornelias To-Do-Liste für heute so toll wie möglich zu optimieren! Das wollte er gerne machen und ich frage ihn, wieso. „Ist doch ganz einfach. Du musst einfach die Tu du-Liste durchgehen und überlegen, auf welche Sachen du Lust hast und auf welche nicht. Bei denen, wo du keine Lust hast, da gehst du zu einem Erzieher und sagst: „Tu du’s“ und dann streichst du das von der Liste und machst eine „Tu ich“-Liste. Und da kommt alles drauf, was noch übriggeblieben ist. Toll, was?!“ Strahlende Augen. Jawoll, ganz toll…ich belasse es vielleicht lieber einfach dabei, ohne zu erklären, dass To Do nicht Tu du, sondern Aufgaben heißt und englisch ist. Sonst wollen die Schlauberger mir wieder alles berichten, was sie schon auf Englisch sagen können. „Pluuu und jello und uääääät…ich kann nämlich schon Englisch!“ Außerdem haben sie schließlich noch viele anderen Chefsachen zu erledigen.
4) Waschmaschine überprüfen. Da klemmt irgendwas.
Milena, Vicky und Konstantin quetschen sich zu dritt vor das Bullauge und gucken wirklich sehr fachmännisch rein, während Anastasia mir am Ärmel zupft und erklärt, wie ihre Mama zuhause Wäsche wäscht. Zumindest nehme ich an, dass Anastasia mir genau das erklärt, ich kann nämlich leider kein Russisch sprechen und verstehe deshalb nicht, was sie sagt. Aber ich nicke und rufe freudig: „Hach, das ist ja toll, deine Mama wäscht auch Wäsche!“ Scheinbar war es richtig, denn Anastasia nickt ebenfalls freudig. Vielleicht aber auch nur, weil sie denkt, ich habe sie verstanden, denn sie versteht Deutsch ungefähr so gut, wie ich Russisch verstehe…In der Zwischenzeit haben Konstantin und Vicky ihre Freundin Milena in die Waschmaschine gesteckt und irgendwelche von den vielen KNGÖPFN gedrückt und verkünden begeistert, sie funktioniere jetzt wieder. Ich schreie kurz auf, drücke auf Abbruch, reiße das Bullauge auf und untersuche Milena auf erste Anzeichen von Schleudertrauma. Gott sei dank geht es ihr gut, sie hatte nur ein paar Umdrehungen. Ich nehme mir vor, den Eltern vorzuschlagen, am Wochenende mal auf den Weihnachtsmarkt zu gehen, da ich glaube, dass ihre Tochter gern mal Karussell fahren würde.
5) Unterdessen besprechen Timon und Wilhelm mit der fleißigen und gutmütigen Küchenkraft die tagesaktuellen essenstechnischen Besonderheiten und gleichen die tatsächliche Anzahl der Mitessenwollenden mit den angemeldeten ab. Ich soll mich ja nicht einmischen, sie machen das schon. Dennoch hoffe ich sehr, dass die Köchin nochmal drüberschaut, da Timon zwar beteuert, dass er bis 100 zählen kann, aber wenn bei ihm schon nach der zehn die drölfzehn kommt… Da sie schonmal dabei sind, unterstützen sie auch noch beim Befüllen der Speisewagen. Zum Glück bin ich nicht dabei. Sonst würde ich mitkriegen, wie die Jungs sich um’s Besteck streiten. „Ich packe die Löffel drauf!“ „Nein, aber ICH will den spitzen Löffel!“ „Ja, aber ICH hatte noch NIE den spitzen Löffel…!“ mit dem Ergebnis, dass sämtliches Besteck sich auf dem sehr sauberen Küchenfußboden verteilt und sie pflichtbewusst versuchen, die schönen spitzen und die plöden runden Löffel mit ihren sehr dreckigen Fingern abzuwischen.
6) Eileen überarbeitet unterdes Cornelias Lieblingsrätsel. Den Dienstplan. Sie macht das ganz toll, die Aufgabe brauche ich ihr scheinbar gar nicht erklären. Da stehen schon ganz viele Zahlen. Also malt sie einfach ganz viele andere dazu. Das hat sie nämlich von ihrer Schwester gelernt, das mit dem Schreiben, die ist nämlich schon in der Schule, die Schwester. Und die anderen Rätsel haben immer gelbe und pinke Streifen. Also malt sie auch ein paar gelbe und pinke Streifen drauf. „FERTIG! Komisch, dass Cornelia die Rätsel schwer findet, ist doch ganz einfach!?“
7) …Tja…zu den weiteren Aufgaben von Cornelia kommt leider keiner mehr. Chefin sein ist nämlich so anstrengend, dass die Kindergartengruppe völlig übermüdet am Mittagstisch sitzt und vor Erschöpfung jedes zweite Reiskorn vor dem Teller oder neben dem Teller oder unter dem Tisch oder in den Haaren des Sitznachbarn landet. Klara ist heiser, Milena sagt, ihr sei irgendwie "komisch im Kopf" und Eileen hat kunterbunte Finger, weil sie nach dem "Rätsel" auch noch sich selbst angemalt hat. Timon und Wilhelm haben sich wegen der Sache mit den Löffeln ganz fürchterlich zerstritten und laden sich sowieso niiie mehr zum Geburtstag ein. Philipp hat von der vielen Denkarbeit knallrote Wangen und auch alle anderen sehen ziemlich geschafft aus. Aber sie haben das ganz großartig gemacht! Und sie freuen sich mit Sicherheit mindestens genauso sehr wie das Team darauf, dass Cornelia zurückkommt. Das ist besser und ungefährlicher für alle Beteiligten. Morgen ist die Chefin also hoffentlich wieder da. Und dann freut sich Philipp darauf, ihr stolz seine To-Do-Optimierungsidee zu unterbreiten.





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